Franz Sänger, Wirt des „Braunen Hirschen“ in Bullerborn:

 

Vor der Himmelstür

 

Nach einem Gedicht von Friedrich Wilhelm Weber

 

 

 

 

 

 

 

Quelle:

theleshem.wordpress.com

Die armen Heiden, die Seehundsfänger, die Eskimos, wollten nicht in den christlichen Himmel, weil sie dort keine Robben fangen konnten.

Aber auch Menschen, die noch nie in Grönland waren, haben ihren fetten Seehund.

Heute genauso wie früher möchten Reiche und Christen gern nur dann in ihren Himmel eingehen, wenn sie ihren Götzen mitbringen dürfen: Urkunden, Wappen, Orden und Auszeichnungen, Bücher und Bilder, Kisten und Kästen, schwer von Gold.

Einer möchte am liebsten sein Jagdgewehr mitbringen.

Die Gaststätte „Zum braunen Hirschen“ in Bullerborn war ein stattliches Haus am Markt, gerade der Kirche gegenüber. Der Wirt streifte für sein Leben gern mit Büchse und Hund den Berg entlang und durch die Wiesen. Im Winter wie im Sommer nahm er an jeder Hetzjagd teil.

Nun aber war er achtzig Jahre alt geworden und sollte sich für immer von Feld und Wald verabschieden.

Nur ungern begab er sich auf die letzte Reise.

 
 

Er stand vor der Himmelstür und klopfte leise an. Der heilige Petrus öffnete und fragte ungehalten: „Wer bist du, und was willst du hier?“

Der Wirt antwortete: „Nun, Sankt Peter, wir kennen uns schon lange. Bei jeder Prozession trug man dich an meinem Haus am Markt vorbei. Heimlich blickte ich durch das Fenster und nickte dir immer einen freundlichen Gruß zu. Du musst mich doch gesehen haben. Ich bin es, Franz Sänger aus Bullerborn!“

„Du bist der Wirt des ‚Braunen Hirschen‘, oder? Klapperst und knallst und pirschst du nicht gern? Zeigst du mir als Eintrittskarte in den Himmel etwa deinen Jagdschein vor? Am liebsten schickte ich dich wieder zurück, du Hasenmörder, du Iltisfänger. Aber der Herr will sich deiner erbarmen. Also tritt herein! Warum kommst du eigentlich so spät? Warum hat deine Reise von Bullerborn zu mir herauf drei Tage gedauert? Wo hast du dich herumgetrieben?“

„Ach, Herr, ich musste mich durch Disteln und Dornen, durch tiefe Täler, durch Gebüsch und über Felsen kämpfen. Meine alten Beine wurden müde. Die Zeit vergeht, wenn man immer wieder Pause machen und sich erholen muss. Außerdem hörte ich am Berghang Jagdrufe, Hörnerklänge und das Gebell der Jagdhunde. Plötzlich lief in Schussweite ein mächtiger Hirsch, ein Vierzehnender, an mir vorbei. Und ich stand da und hatte nichts zum Schießen, es war schrecklich!“

Empört zog Sankt Peter die Augenbrauen hoch und murrte: „Mensch, das ist ja furchtbar! Du hast den Bernd Hackel gehört, und zwar mitten in der Hölle!“

„Tatsächlich? Aber mir gefiel die Jagd. Gibt es hier bei dir eigentlich auch Wild zum Jagen?“ Franz Sänger zeigte auf die Himmelstür.

 
 

Petrus rasselte zornig mit dem Schlüsselbund und rief: „Heilloser Kunde, willst du mit Horn und Hund in den Himmel einziehen, mit Schießen und Schreien? Willst du den heiligen Frieden der Menschen stören, die nicht mehr leben und leiden mögen? Hier kannst du nicht mehr sündigen. Willst du nicht endlich rasten und ruhen?“

Franz Sänger raufte sich die grauen Haare und sprach erschrocken: „Es gibt hier keine Jagd? Auch nicht ein bisschen private Herrenjagd?“

„Gar nichts, du Strolch!“, antwortete Petrus, der Pförtner.

„Für die ganze ewige Zeit? Das tut mir aber leid! Ach, da fällt mir ein, dass ich meinen Stock dort unten bei der Jagd vergessen habe. Seit ich am Rehberg, an der Heidenmauer beim Sachsenborn, den Keiler geschossen habe, war der Stock aus Schlehdorn immer mein Begleiter. Ich erzähle dir später die Geschichte. Ich will erst einmal zurück nach unten gehen und den Stock holen, ich komme wieder. Lasse das Tor offen. Du weißt, ich bin alt und muss langsam gehen.“ Hastig schritt der Alte den Wolkenberg hinunter.

Petrus strich sich über den grauweißen Bart.

„Franz Sänger, du warst schon immer ein komischer Vogel. Hoffentlich gibt es keinen, der schlimmer ist als du. Ich denke, du findest den Stock in den Büschen, aber dann findest du auch den Rückweg zu mir.

 

[Das letzte Hemd hat eben keine Taschen.]

 

© Elisabeth Affani 2013